Corona im Unternehmen – die Macht und die Verantwortung der Beschäftigten
Alles Panikmache…“, „bei der Grippe machen sie auch nicht so ein Aufstand….“, „die Grippe ist viel schlimmer, da sterben jährlich zehntausende von Leuten..“, das bringt doch nichts…“ und vieles mehr hörte man Anfang März allerorten, auch von Beschäftigten in den Unternehmen, zumal dann, wenn die Geschäftsleitungen als Reaktion auf die globale Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus einschränkende Verhaltensregeln vorschrieben.
Warum sollte ich mich einschränken?
Mittlerweile, Mitte März, ist der Gesang der Reglementierungskritiker in Anbetracht der steigenden Infiziertenfälle etwas leiser geworden. Dennoch ist diese „Bewertung“ der Bürger und Beschäftigten zumindest aus einer Kurzfristperspektive heraus und in der aktuellen „Präventionsphase“ zum Teil plausibel, und sie stehen damit den trotzdem richtigen Bemühungen von Staat und Unternehmen entgegen.
Zu den vorläufigen Fakten und Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts (Mitte März 2020):
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- Laut Schätzungen des „Grippe-Monitor“ starben in Deutschland während der letzten Grippewellen teilweise bis zu 20.000 Menschen am Influenza-Virus.
- Aktuell sind über 145.000 Menschen an einer Grippe erkrankt und 247 sind daran gestorben; 8.198 Menschen sind am Corona-Virus erkrankt und 12 Menschen sind daran gestorben (Stand 18.3.2020).
- Zwar wird der Verbreitungsgrad des Corona-Virus weiter stark ansteigen und die allermeisten Menschen werden sich infizieren. Viele werden das aber überhaupt nicht merken, weil, laut Experten, der Krankheitsverlauf beim neuartigen Corona-Virus teilweise sehr viel milder ausfällt oder zumindest sehr viel stärker variiert als beim Influenza-Virus.
- Lediglich bei ca. 20% der Infizierten wird die Erkrankung schwere bis tödliche Verläufe nehmen. Vor allem ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen sind hier gefährdet.
- Die sog. Letalitätsrate (Anzahl der Toten pro Erkranktenzahl) schätzen die Experten beim Corona-Virus aber deutlich höher als bei der Influenza ein.
Insgesamt ist die Datenbasis bzgl. der Krankheitsverläufe aber noch zu gering, als dass man hier von gesicherten Erkenntnissen sprechen könne, so der Tenor der Experten aus dem Robert-Koch-Institut und anderer Institute Anfang März. Dennoch scheinen diese überall publizierten Daten aus Sicht des Einzelnen keine besonderen Sorgen zu rechtfertigen: Die Wahrscheinlichkeit zu erkranken ist zwar hoch, aber die Wahrscheinlichkeit schwer zu erkranken ist niedrig. Warum also sollte ich mich einschränken??
Asymmetrische Betroffenheit – höheres Risiko für Unternehmen
Neben der sehr wahrscheinlich höheren Letalitätsrate ist eines aber ganz sicher: Es gibt im Gegensatz zur Grippe keine Immunisierung der Bevölkerung und das ist das eigentlich Gefährliche an dem Corona-Virus. Kritisch ist ebenfalls, dass viele Coronainfizierte aufgrund eines unterstellten teilweise milden Krankheitsverlaufes unter dem gesundheitspolizeilichen Radar laufen, sodass die Ansteckungswege immer weniger zu identifizieren sind und die Gruppe der leicht Infizierten nicht separierbar ist und dadurch weitere Menschen anstecken kann.
Gegenüber der individuellen Sicht des Bürgers oder des Beschäftigten müssen sich aber der Staat, die Gesellschaft und die Unternehmen Sorgen machen. Durch die fehlende Immunisierung wird ein deutlich größerer Bevölkerungsanteil als dies bei Grippe der Fall ist, entweder aufgrund schwerer Erkrankung über einen längeren Zeitraum stationär behandelt werden oder, was bei den meisten Infizierten wahrscheinlich der Fall sein wird, in Quarantäne müssen. Sie binden also die ohnehin schon knappen Ressourcen des Gesundheitssystems und stehen den Unternehmen nicht zur Verfügung. Das neue Virus könnte die Systeme „Staat“ und „Unternehmen“ an ihre Grenzen bringen.
Hier entsteht eine zweigeteilte und auch eine asymmetrische Betroffenheit: eine individuelle und eine systemische. Das individuelle Schadensrisiko wird deutlich geringer als das von Unternehmen und das des Staates eingeschätzt und die Ziele der Bürger und der Beschäftigten liegen teilweise konträr zu denen des Staates und der Unternehmen. Gleichzeitig sind aber beide darauf angewiesen, dass der Bürger, der Beschäftigte die Sichtweise des Staates und der Unternehmen in jedem Fall unterstützt.
Divergierende Ziele von Unternehmen und Beschäftigten
Das Ziel des Staates ist es die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, eine explosionsartige Ausbreitung zu vermeiden, um Zeit für die Entwicklung eines Impfstoffes zu gewinnen und das Gesundheitssystem nicht zu strapazieren. Das Ziel des Unternehmens ist es, die (krankheitsbedingten) Ausfallzeiten der Beschäftigten dauerhaft so gering wie möglich zu halten, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Die Methode dazu sind bei Staat und Unternehmen die gleichen: durch Unterbrechung der Ansteckungswege und durch Identifizierung und Separierung der Erkrankten.
Das „psychologische“ Ziel des Bürgers und des Beschäftigten ist es zunächst einmal genauso weiterzuleben wie bisher (Reaktanz), und wenn er infiziert wird, nicht so schwer zu erkranken und sich selbst gut versorgen zu können (Hamsterkäufe), und wenn er doch schwer erkrankt, dass er dann auch medizinisch gut versorgt wird (Erwartung). Das alles aus der Kurzfristperspektive und aufgrund der Bedürfnislage. Alle diese Ziele sperren sich gegen Gängelung und Einschränkungen, weil sie den eigenen Bedürfnissen entgegenlaufen.
Das Ziel der Unternehmen ist es, die Produktion aufrechtzuerhalten, um ihre Kunden beliefern zu können. Sie stehen aktuell in der Gefahr, dass es zu einem „explosionsartigen und großflächigen Krankheitsausbruchs“ kommt und die Beschäftigten in großer Zahl fehlen. Um das zu vermeiden, verfassen Sie Verhaltensmaßregeln, mit denen sie die Infektionsketten unterbrechen wollen. Diese Regeln sind aber kaum zu kontrollieren, da sie in den unmittelbaren und auch in den privaten Handlungsvollzug der Beschäftigten fallen (Informationspflichten zu Kontakten und Reisetätigkeiten, Beschränkungen im Bewegungsradius und im Kommunikationsverhalten, Hygienemaßnahmen, etc.).
Die Unternehmen sind auf die Beschäftigten angewiesen
In China sieht man aktuell, wie ein autoritärer Staat nach einer Anfangsphase der Leugnung und Vertuschung des Problems durch die Kontrolle und Steuerung seiner Bürger bei der Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus Erfolg hat. In Deutschland ist dies so nicht möglich. Die Unternehmen sind auf die freiwillige Befolgung ihrer Beschäftigten angewiesen, ohne dass diese dafür einen unmittelbaren und konkreten „Betroffenheitsanlass“ haben, weil das „Corona-Problem“, von den nackten Zahlen her gesehen, (noch) nicht bedrohlich erscheint, und weil die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs eher als gering wahrgenommen wird. Selbst wenn die Infiziertenzahlen deutlich anstiegen, wovon auszugehen ist, dürfte das individuelle Risiko für die Beschäftigten deutlich geringer sein als das Risiko für ein Unternehmen, das je nach Branche, Größe und finanzieller Stabilität durchaus schnell auch in eine existenzielle Schieflage geraten könnte. Diese Unterschiedlichkeit in der Bewertung der Situation ist ein zusätzliches Risiko für ein Unternehmen und verleiht den Beschäftigten eine faktische Macht und damit eine Verantwortung. Der Slogan „wir sitzen alle im gleichen Boot“ ist zumindest in einer Kurzfristperspektive nicht mehr plausibel.
Selten zuvor waren Unternehmen so sehr auf die proaktive und freiwillige Mitwirkung ihrer Beschäftigten angewiesen.
Drei gute Gründe die Regeln zu befolgen
Warum nun sollte der Beschäftigte diese Regeln freiwillig befolgen und sich in seinen Handlungen beschränken? Hier liegen 4 Varianten nahe:
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- aus Gehorsamsgründen
- aus Loyalitätsgründen
- aus Vernunftsgründen
- aus Verantwortungsgründen
Gehorsamsgründe
Eine Befolgung aus Gehorsamsgründen unterstellt ein autoritäres Führungsverständnis und das Bild des Beschäftigten als Befehlsempfänger, dem keine Entscheidungskompetenz und Verantwortung zugebilligt wird, der „klein und eigentlich unwichtig ist“ oder der einfach Angst vor Sanktionierung hat. Der Beschäftigte würde hier die Vorgaben aus diesem „Gehorsamsmuster“ heraus so lange befolgen, bis er merkt, welche Macht er eigentlich hat und dass eine Sanktionierung eher unwahrscheinlich ist. Aus unternehmerischer Sicht ist das jedoch riskant und aus Sicht des Beschäftigten gibt es außer „Angst“ vor Sanktionierung und dem erlernten Gefühl von „Wirkungslosigkeit“ keinen Grund die Maßnahmen zu befolgen.
Loyalitätsgründe
Eine Befolgung aus Loyalitätsgründen basiert auf einer Unternehmenskultur der Gegenseitigkeit: Das Unternehmen gibt dem Beschäftigten etwas und der Beschäftigte gibt dem Unternehmen etwas zurück. Der Beschäftigte könnte hier aus zweierlei Motiven heraus handeln. Zum einen durch einen Impuls „der Chef wird es schon wissen und er meint es gut mit mir“. Der Beschäftigte schenkt ihm Vertrauen aufgrund der „Fürsorge“, die ihm das Unternehmen in der Vergangenheit entgegengebracht hat und ihm das auch jetzt entgegenbringen wird (Verpflichtung). Zum anderen aber auch aus einem Gefühl der inneren Verbundenheit heraus, auch dann dem Unternehmen zu folgen, wenn ihm die Maßnahmen nicht plausibel erscheinen und das Vertrauen in die Richtigkeit der Maßnahmen nicht uneingeschränkt vorhanden ist (Loyalität). Beide Motive basieren auf einer inneren emotionalen Verbundenheit mit dem Unternehmen, mit der Folge, dass der Beschäftigte Vertrauen oder zumindest freiwillige und bewusste Akzeptanz gibt. Diese Motivation ist eine zutiefst soziale.
Vernunftsgründe
Eine Befolgung aus Vernunftsgründen würde für den Beschäftigten zunächst einmal bedeuten, dass er sich von seinen Bedürfnissen und seinen einfachen und gängigen Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern löst (Gesetz der guten Gestalt). Er müsste hinter die „offen daliegenden Fakten“ und vor allem weiter blicken.
Das hieße vor allem zu erkennen:
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- Trotz der aktuell noch vergleichsweise „geringen“ Anzahl von Infizierten ist das Risiko sich zu anzustecken aufgrund fehlender Immunisierung sehr hoch.
- Trotz dem, dass Experten die Krankheitsverläufe aktuell als überwiegend „leicht bis mäßig“ einschätzen, ist aufgrund der noch sehr geringen Datenbasis zu den Krankheitsverläufen und der „Größe des Nichtwissens“ zu dem Virus jede diesbezügliche Einschätzung als höchst unsicher zu bewerten.
- Wenn die Verhaltensmaßregeln nicht eingehalten würden, steigt das Risiko eines explosionsartigen Ausbruchs der Krankheit, sodass auch Patienten mit schweren Verläufen, also u.U. auch der Beschäftigte selbst, nicht mehr richtig versorgt werden könnten, weil das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommen würde.
- Wenn das Unternehmen Schaden nimmt, weil es nicht mehr produzieren und seine Kunden nicht mehr beliefern kann, nimmt mittel- und langfristig natürlich auch der Mitarbeiter Schaden
Dies wäre eine zwar egoistische, aber eine sehr vernünftige Haltung, die den Beschäftigten dazu brächte, die Regeln freiwillig einzuhalten.
Verantwortungsgründe
Eine Befolgung aus Verantwortungsgründen würde für den Beschäftigten bedeuten, dass er seine Bedürfnisse bewusst zurückstellt und sich freiwillig einschränkt, weil er seinen Beitrag leisten möchte, dass das Unternehmen, der Staat und die Gesellschaft handlungsfähig bleiben. Er macht dies aus einem Bewusstsein heraus, dass eine Gemeinschaft ohne „freiwillige Gabe ohne Rückforderung“ (Gegensatz zum Tauschgeschäft), ohne Selbstbeschränkung nicht überleben kann. Ebenso, dass er sich als Teil dieser Gemeinschaft versteht, ohne die er selbst wahrscheinlich auch nicht gut leben könnte (Tauschgeschäft auf Hoffnung hin). Weiterhin sieht er sich in einer Verantwortung zu seinem Nächsten, der aufgrund seines Verhaltens schwer erkranken könnte. Er sieht also seinen eigenen Anspruch auf Schadenfreiheit gleichrangig mit dem seines Nächsten. Er übernimmt Verantwortung für ihn. Dies wäre ebenfalls eine zutiefst prosoziale Haltung des Beschäftigten.
Fazit
Unternehmen sollten jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die Beschäftigten die Verhaltensregeln so ohne Weiteres einhalten, und bei der Kommunikation mit ihren Beschäftigten auf diese unterschiedlichen Motivstränge auch eingehen. Sie sollten nicht so tun, wie wenn es ihnen „nur“ um die Krankheitsvermeidung des einzelnen Beschäftigten ginge, sondern deutlich machen, dass sie als Unternehmen hier in einem ganz besonderen Maße auf die Solidarität ihrer Beschäftigten angewiesen sind. Die Unternehmen sollten sich als das zeigen, was sie angesichts dieser Situation sind: schwach und auf Solidarität angewiesen. Die Beschäftigten wiederum tragen in einer so noch nie da gewesenen Konstellation besondere Verantwortung für Ihren Betrieb, sodass man hier sogar von einer Fürsorgeverpflichtung des Beschäftigten gegenüber seinem Unternehmen sprechen könnte. Beides würde die Unternehmenskultur stärken.